Unerwartete Feinde. Zivile Gewalt und Emotionen in Deutschland und in Großbritannien im Ersten Weltkrieg
Viele Jahre lang hat mich dieses Thema beschäftigt, deshalb bin ich froh, dass das Buch nun erscheint. Ungeachtet eigener Zweifel, die wohl jeder Autor ab und an hat, halfen mir Familie, Freundinnen, Freunden, Kollegen und Kolleginnen durch Zuspruch, Vorschläge und Warnungen. Ohne die Unterstützung durch die Gerda Henkel Stiftung wäre das Buch nicht entstanden. An der Universität Tübingen war ich mehrere Jahre lang Gast-wissenschaftler. Hier bekam ich die Möglichkeit, mit anderen Wissenschaftlern oder Studierenden über für mich neue Themen, Methoden oder Fragen zu diskutieren. Debatten und Ergebnisse des SFB »Bedrohte Ordnungen« haben meine Forschung bereichert.
Gewalt war im Ersten Weltkrieg auch an der Heimatfront eine alltäglich verfügbare Option. Anhand von drei Fallbeispielen – der Verfolgung angeblicher Goldtransporte in Automobilen, der Bedrohung aus der Luft durch Zeppeline und dem Versenken von Handels- und Passagierschiffen durch U-Boote – untersuche ich Gewalt von und gegen Zivilpersonen zwischen 1914 und 1918 im Deutschen Reich und in Großbritannien.
Verunsicherung, Angst, Wut, Hass und das Gefühl von Ohnmacht führten zu spontanen Gruppenbildungen und Gewaltausbrüchen. Tatsächliche und erfundene Gefahren hatten zur Folge, dass unbekannte Reisende wie längst bekannte Nachbarn und generell Menschen, die als fremd wahrgenommen wurden, verfolgt, beleidigt, ausgeplündert oder getötet wurden. Medien und staatliche Propaganda verstärkten diese Taten und Emotionen. Einige der Gewaltausbrüche waren durchaus im Sinne der staatlichen Interessen – aber die Zivilisten handelten nicht immer so wie »geplant« – als eigenständige Akteure bestimmten sie oft selbst, gegen wen sich ihre Gewalt richtete.
Zwischen Extrempunkten gibt es eine Reihe von Abstufungen. Erst diejenigen, die riskieren, zu weit zu gehen, sind in der Lage herauszufinden, wie weit sie gehen können. Durch den Ersten Welt krieg leben immer mehr Zivilisten und Zivilistinnen in Gewaltzonen. Ob man die Sieger der Kämpfe feiert, oder den Mythos vom heldenhaften Zivilisten auseinandernimmt: Eine tatsächliche Auswirkung dieses Krieges liegt in den Emotionen, die er weckt – auf beiden Seiten.
Kontrollierbare Gefühle? Die Vermittlung von Musik durch Dirigent:innen
Dirigenten und Dirigentinnen faszinieren. Der britischen Musikwissenschaftlers Percy Leung (Oxford und Liverpool John Moores Universities) und ich haben elf namhafte Dirigent:innen aus dem In- und Ausland ausführlich interviewt und über die Wirkung der Emotionen bei Proben und Aufführungen mit ihnen diskutiert. Die Interviews zeigen, dass Dirigent:innen in besonderem Maße über die Fähigkeit verfügen, eine Komposition auch durch ihre Gefühle zu erschließen, sie nicht nur Expert:innen, sondern auch vielen Menschen in der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dirigent:innen haben eine Schlüsselposition, die sie von anderen Musiker:innen unterscheidet. Sie müssen unterschiedliche Künstler:innen zusammenbringen und auf ein gemeinsames Ziel verpflichten. Sie können dabei nicht nur auf Fachwissen zurückgreifen, sondern auch Emotionen einsetzen, etwa um bei einer Probe durch Bilder, Gesten und Geschichten ihre Absicht zu verdeutlichen. Wir untersuchen hier, ob und inwieweit Dirigent:innen die Emotionen aus dem Werk schöpfen und welche eigenen Gefühle sie einbringen.
Denn ohne Emotionen geht es nicht. Publikum, Veranstalter:innen, Medien oder Kritiker:innen werden nicht nur auf das Repertoire oder auf die künstlerische Qualität der Dirigent:innen, sondern auch auf ihr charakteristisches Verhalten achten. Dazu zählen immer ihre Emotionen. Diese sind in diesem Sinne auch eine Form der Kommunikation. Wir untersuchen Gefühle hier nicht in erster Linie als körperliche Zwänge, sondern vor allem als Kommunikationspraktiken innerhalb einer Gruppe (z.B. im Verhältnis zu den Musiker:innen) und oder zwischen verschiedenen Gruppen (Musiker:innen und Publikum).
Die Dirigenten und Dirigentinnen haben uns in den Interviews von ihren Emotionen in Beruf und Alltag berichtet. Sie erzählten vieles über Komponist:innen, die sie schätzen, fürchten oder ablehnen, Verhaltensmuster im Publikum, die sie begeistern oder erschrecken. Sie nannten verschiedene Emotionen bei der Analyse der Partitur, bei der Probenarbeit oder bei möglichen Aufnahmen. Einige räumten ein, dass es schwer sein kann, die eigenen Gefühle zu kontrollieren. Manche sprachen über die eigene Angst zu versagen. Überrascht hat uns immer wieder die offen eingestandene Sinnlichkeit, die stets auch die körperliche Dimension beim Umgang mit Musik deutlich macht.
Die Interwies fanden in den Jahren 2012 bis 2015 und 2022 bis 2024 statt. Wichtig war es für uns den Fokus zu weiten und nicht allein mit bekannten Männern, sondern selbstverständlich auch mit Frauen zu diskutieren, die in diesem Beruf so lange mit besonderen Vorurteilen und Schwierigkeiten zu kämpfen hatten (und haben). Zudem sprachen wir mit jüngeren Dirigent:innen, die erst begonnen hatten Orchester zu leiten. Zu dem bekannten Dirigent:innen zählen Nikolaus Harnoncourt, Christian Thielemann, Simone Young, Daniel Harding oder Gustavo Dudamel.
Die Gespräche sind die Grundlage des geplanten Buches, das ca. 250 Seiten umfassen soll. Davon wären etwa 200 Seiten Auszüge aus den Interviews und auf ca. 50 bis 60 Seiten möchten wir die Interviews in die laufende Forschung einbetten. Unseres Erachtens nach hat es eine derartige Veröffentlichung bislang noch nicht gegeben. Das Buch soll im Frühjahr 2026 im Bielefelder transcript Verlag erscheinen.
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