Unerwartete Feinde. Gewalt und Emotionen in der Zivilbevölkerung in Deutschland und in Großbritannien im Ersten Weltkrieg
Das Verhältnis von Emotionen und Gewalt an der Heimatfront im Ersten Weltkrieg ist das Thema. Ich untersuche wie aus einander oft fremden Zivilist:innen in bestimmten Situationen im Deutschen Reich und in Großbritannien Gewaltgemeinschaften entstehen konnten. Ganz unterschiediche Menschen konnten plötzlich getötet, misshandelt oder beleidigt werden.
Kaum erforscht ist die Tatsache, dass viele Gewalttaten von Zivilist:innen durch Emotionen verstärkt, vielleicht sogar ausgelöst wurden. Gefühle hatten ihren Anteil an der Kommunikation über militärische oder politische Probleme im Ersten Weltkrieg, lassen aber auch die persönlichen Ängste vieler Menschen erkennen. Sie sorgten sich über die Gefährdung von Partnern, Familien und Freunden. Emotionen veränderten die Wahrnehmung von Gruppen, deren Interessen und Handlungsspielräumen. Ziel ist es stärker als bislang Gewalt als eine sinnliche Erfahrung der Täter:innen zu analysieren, zu zeigen, wie manche Emotionen die Menschen motivierten brutal einzugreifen. Damit wird nicht deren Verantwortung in Frage gestellt.
Klären möchte ich wer die Akteure überhaupt waren, wie sie sich nach Klasse, Alter, Geschlecht, Konfession, politischer Einstellung oder Wohnort unterschieden. Etwa ob es sich bei den Täter:innen und Opfern eher um Bildungsbürger:innen oder Arbeiter:innen, eher um Städter oder Landbewohner handelte. Wichtig ist es auf das Geschlecht zu achten, zu untersuchen, ob und inwieweit Männer öfter als Frauen tätlich handelten – oder zu Opfern wurden.
Ich richtete meinen Blick auf bestimmte Orte in der Stadt und auf Verkehrswege, für deren Kontrolle Teile der Zivilbevölkerung oft das Leben von angeblichen Feinden bedrohte. Gerüchte und erfundene Bedrohungen spielen eine wichtige Rolle. Diese Gruppen bekamen in einem begrenzten Zeitraum die Möglichkeit ihre Interessen jenseits staatlicher Kontrolle durch Gewalt durchzusetzen. Nicht nur tatsächliche Spione, sondern auch die eigenen Nachbarn konnten als vermeintliche Gefahrenquelle verfolgt werden. Unerwartete Beziehungen und Feindschaften, alltägliche Formen der Kommunikation unter Zivilist:innen, lassen sich gut durch die Presse, durch Polizeiberichte und ebenso durch private Dokumente (Tagebücher, Briefe, Witze) untersuchen. Manchmal erbringt die Analyse von Postkarten und Karikaturen aufschlussreichere Informationen, als die Durchsicht von Regierungsakten und Parlamentsdebatten.
Der „Generalplan Ost“. Die Entstehung eines Kriegsverbrechens im Zweiten Weltkrieg und der Umgang in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik nach 1945
Bereits der Begriff „Plan“ lässt ahnen, dass die gewaltsame Verwandlung Europas sorgfältig vorbereitet wurde, und zwar durch die enge Zusammenarbeit einflussreicher Akteure von der Reichsleitung bis zur SS – und gerade durch viele renommierte Wissenschaftler an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Den Auftrag zur Erarbeitung des „Generalplan Ost“ erhielt Prof Dr. Konrad Meyer (Agrarwissenschaftler und Leiter der Hauptabteilung „Dienststelle des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums“). Zahlreiche Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen entwarfen unter seiner Leitung bis zum Frühling 1942 den „Generalplan Ost“. Ziel war die Schaffung einer Agrargesellschaft in Polen, in weiten Teilen der Sowjetunion und im Baltikum, welche die Bedürfnisse deutscher Siedler erfüllen sollte. Sogenannte „rassisch unerwünschte“ Einwohner sollten als Zwangsarbeiter herangezogen, nicht weniger als 30 bis 40 Millionen deportiert oder getötet werden. Wissenschaftliche Visionen, rassistische Bevölkerungspolitik, wirtschaftliche Ausbeutung und Massenmord griffen ineinander. Die deutschen Experten bedrohten durch ihr größenwahnsinniges Konzept das Leben, den Besitz, die Freiheit und die Würde von Millionen polnischer und sowjetischer Männer, Frauen und Kinder.
Das Projekt untersucht den Anteil der Berliner Universität an der Entstehung des „Generalplan Ost“ auf der einen und dessen Bewertung durch Universität, Politik und Öffentlichkeit von 1945 bis 1990 auf der anderen Seite. Der Schwerpunkt liegt auf der Kooperation der hoch motivierten Wissenschaftler mit den gnadenlosen Tätern des Vernichtungskrieges. Wichtig ist der Blick auf die Arbeit der Forscher an der Berliner Universität und auf die mitwirkenden Kollegen an anderen Universitäten und Instituten. Skizziert werden auch die wenigen Prozesse gegen die Akteure in der DDR nach 1945. Schließlich gilt es den zögerlichen, ja meist verweigerten Umgang der Berliner Universität in der DDR mit denjenigen Kriegsverbrechern oder Kollaborateuren zu untersuchen, die hier weiterhin arbeiteten.
Kontrollierbare Gefühle? Die Vermittlung von Musik durch Dirigent:innen
Vor dem Abschluss steht ein Projekt, das ich zusammen mit Dr. Percy Leung (Oxford und Liverpool John Moores Universities) mache. Unser Thema ist die Vermittlung von Musik durch Emotionen aus der Perspektive von Dirigent:innen. Wir haben elf namhafte Dirigent:innen aus dem In- und Ausland ausführlich interviewt und über die Wirkung der Emotionen bei Proben und Aufführungen mit ihnen diskutiert. Dazu zählen unter anderen Nikolaus Harnoncourt, Christian Thielemann, Simone Young oder Gustavo Dudamel. Die Interviews zeigen, dass Dirigent:innen in besonderem Maße über die Fähigkeit verfügen, eine Komposition auch durch ihre Gefühle zu erschließen, sie nicht nur Expert:innen, sondern auch vielen Menschen in der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine derartige Veröffentlichung von Auszügen und Analysen dieser Interviews hat es bislang noch nicht gegeben.
Dirigent:innen haben eine Schlüsselposition, die sie von anderen Musiker:innen unterscheidet. Sie müssen unterschiedliche Musiker:innen – auch diese Künstler:innen eigenen Ranges – zusammenbringen und auf ein gemeinsames Ziel verpflichten. Dirigent:innen können dabei nicht nur auf Fachwissen zurückgreifen, sondern auch Emotionen einsetzen, etwa um bei einer Probe durch Bilder, Gesten und Geschichten ihre Absicht zu verdeutlichen. Wir untersuchen hier und inwieweit, ob Dirigent:innen die Emotionen eher dem Werk zuschreiben oder selbst die eigenen Gefühle mit einbringen.
Publikum, Veranstalter:innen oder Kritiker:innen werden nicht nur auf das Repertoire oder auf die künstlerische Qualität der Dirigent:innen, sondern auch auf ihr charakteristisches Verhalten achten. Dazu zählen ihre Emotionen. Diese sind in diesem Sinne auch eine Form der Kommunikation. Wir untersuchen Gefühle hier nicht in erster Linie als körperliche Zwänge, sondern vor allem als Kommunikationspraktiken innerhalb einer Gruppe (z.B. im Verhältnis zu den Musiker:innen) und oder zwischen verschiedenen Gruppen (Musiker:innen und Publikum).
Die Dirigent:innen haben in den Interviews von ihren Emotionen in Beruf und Alltag berichtet. Sie erzählten vieles über Komponist:innen, die sie schätzen, fürchten oder ablehnen, Verhaltensmuster im Publikum, die sie begeistern oder erschrecken. Sie nannten verschiedene Emotionen bei der Analyse der Partitur, bei der Probenarbeit oder bei möglichen Aufnahmen. Einige räumten ein, dass es schwer sein kann, die eigenen Gefühle zu kontrollieren. Überrascht hat uns immer wieder die offen eingestandene Sinnlichkeit, die stets auch die körperliche Dimension beim Umgang mit Musik deutlich macht.
Die Interviews demonstrieren, wie emotional bewertete Musik und ihr Umgang auch im Alltag Bedeutung erschaffen. Das Buch gibt daher nicht nur der Emotions- und Musikgeschichte neue Aspekte, sondern dürfte gleichzeitig auch eine breitere Öffentlichkeit neugierig machen.